Preußen und Minden

Militär, Bürokratie – und was sonst?

Im Schatten des schwarzen Adlers: Preußische Geschichte des Mindener Landes

Eine Serie von Martin Steffen

Der Bauer Konrad Diedrich Hohneck aus Heimsen überlebte seinen Kriegsdienst nur um Monate. Er starb am 16. Januar 1807, ein Vierteljahr nach der Niederlage Preußens gegen Frankreich am 14. Oktober 1806.

Dass Hohneck nach qualvollem Weg in die Heimat an den Kriegsfolgen starb, zeigt der Eintrag ins Kirchenbuch: “Er ist aus dem Kriege (als Grenadier unter dem von Schladenschen Infanterieregiment der Company von Neuschüly aus der Schlacht bei Jena und Auerstedt) zurückgekommen, und nachdem er einige Tage über die Brust und den Kopf geklagt und den Durchfall gehabt, unvermerkt im Bette gestorben an der Seite seiner Frau, die ihm um 3 Uhr morgens kalt Wasser zum Trinken geholt und bey Tagesanbruch todt gefunden. Hinterläßt eine Frau mit zwei Kindern . . .” Preußische Geschichte an der Basis.

Das Mindener Land war 1648 brandenburgisch geworden. Die Bewohner aus allen Schichten der Bevölkerung spürten dies im Alltag und an Festtagen, in Krieg und Frieden. Auch nach 1701, als Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg sich in seiner östlichsten Provinz zum “König in Preußen” gemacht hatte und das Land unter seinen Nachfolgern zur europäischen Macht wurde.

Dreihundert Jahre liegt diese Krönung zurück. Dieses Jubiläum ist Anlass für das “Preußen- Jahr 2001”. Preußen existiert nicht mehr, doch dieser Staat und seine Geschichte sind immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Dabei zeigt sich, dass manche Urteile über Preußen weit auseinander gehen.

Schon im 18. Jahrhundert spotteten Nachbarn, Preußen sei eine Armee, die sich einen Staat halte – nicht umgekehrt. Preußen war ein Militärstaat, was die dienstpflichtigen Untertanen und ihre Familien regelmäßig zu spüren bekamen – im schlimmsten Fall so wie Konrad Diedrich Hohneck aus Heimsen.

Von vielen verklärt, von vielen verurteilt

Andererseits gilt das alte Preußen als Ort der Toleranz und Liberalität in Glaubensdingen. Die Regierungen bemühten sich im 18. Jahrhundert um Zuwanderung, ohne einen Gedanken an nationale oder religiöse “Leitkultur” zu verschwenden. Diese Toleranz funktionierte jedoch auf dem Verordnungswege. Die Verwaltung arbeitete aber zunehmend effizienter und nach rechtsstaatlichen Prinzipien. Dass mit Effizienz und Fleiß allein kein Staat zu machen ist, zeigte spätestens die Geschichte des 20. Jahrunderts. Der deutsche Nationalismus des Kaiserreichs, die politische Rechte und nach 1933 die Nazis beriefen sich auf Preußen und seine “Tugenden” von Pflicht und Gehorsam. Das war keine Empfehlung.

Was war Preußen? Ein Faktor, der mit anderen zu Nationalismus, Weltkrieg und Massenmord beigetragen hat? Oder eben doch für seine Zeit aufgeklärt und tolerant – wenigstens ein bisschen? Und: Welche Bedeutung soll Preußen für Deutschlands europäische Zukunft haben?

Dazu äußerten sich seit Beginn des Gedenkjahrs 2001 Politikerinnen und Politiker, diskutieren Historiker nicht nur in Berlin und Brandenburg, wo besonders zahlreiche Events und Ausstellungen an Preußen erinnern.

Der Autor dieser Serie, Martin Steffen (Bielefeld), ist Historiker und Gymnasiallehrer.

Zweiter Teil der Preußen-Serie: Von Kantonisten, Urlaubern und Geworbenen – das Militär