Preußens freie Liebe

Ministerium genehmigt Bordell

Im 19. Jahrhundert gab es mehrere Anläufe, die Prostitution in der Garnisonsstadt zu regeln

Eine Serie von Martin Steffen

Der Theaterautor Eduard Schynol erwies der Straße 1998 eine ironische Reverenz: “Er nun wieder” hieß das “Heimatstück” zur Geschichte des Mindener Rampenlochs. In der kurzen Straße in der Altstadt gehen seit dem 19. Jahrhundert Prostituierte ihrem Gewerbe nach.

In preußischen Garnisonszeiten wurde aus diesem Weg eine Bordellstraße. 1823 genehmigte das preußische Innenministerium die Einrichtung eines Bordells für die Festungsstadt – allerdings zunächst nicht im Rampenloch.

Es war ein Richterspruch mit Folgen: Am 13. Juni 1817 wurde bei dem Königlichen Oberlandesgericht in Paderborn gegen die 17 Jahre alte Caroline Kütemeyer verhandelt. Der Vorwurf: Sie habe “Winkelhurerei” betrieben. Mit angeklagt war der Tagelöhner Wilhelm Heidemann, der in seinem Haus eine “Huren Wirtschaft” geduldet haben sollte. Das Gericht sprach die Beschuldigten frei. Die Ausübung der Prostitution sei “liederlichen Weibes Personen” nicht untersagt – solange sie unter staatlicher Aufsicht in den entsprechenden Lokalen geschehe.

In der preußischen Festung Minden gab es kein Bordell. Das Paderborner Urteil habe 1817 als Aufforderung verstanden werden können, ein solches “Etablissement” einzurichten, so Dr. Heinz-Peter Mielke. Zu diesem Schluss kommt der Historiker, der bis 1982 das Mindener Museum leitete, in einem Beitrag für die Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung.

Kulturell viel zu bieten

Festung und Verwaltungszentrum zu sein bedeutete für die Entwicklung Mindens, dass die Stadt durch den ständigen Austausch der Offiziers- und Beamtenfamilien und die Beziehungen zwischen der preußischen und der städtischen Oberschicht kulturell mehr zu bieten hatte als andere westfälische Kleinstädte.

Versuche des 19. Jahrhunderts, die Prostitution in Minden zu konzentrieren und zu kontrollieren, beleuchten ein anderes Stück der gesellschaftlichen Realität einer preußischen Festung. Dass in Minden ein Bordell eingerichtet werden sollte, war ein Anliegen des Mindener Festungskommandanten. 1817 war dies der aus Pommern stammende Generalmajor Ernst-Michael von Schwichow.

Schwichow hatte den Mindenern nach der Vertreibung der Franzosen die Neubefestigung ihrer Stadt und deren Folgen zu “verkaufen”, wie den Abriss von Häusern, Baubeschränkungen, hygienische Probleme oder die ständige Einquartierung von Truppen. Abseits grundsätzlicher moralischer Überlegungen über die Rolle der Prostitution in der Gesellschaft galt seine Aufmerksamkeit den Folgen der ungeregelten Straßenprostitution für die in der Stadt konzentrierten Truppen. Allein im Infanterieregiment Nr. 15 hatten sich im Herbst 1817 15 Soldaten des Füsilierbataillons mit Geschlechtskrankheiten angesteckt.

Schwichow drang auf Feststellung der kranken Prostituierten und verlangte ihre Heilung. Zahlen sollte dafür (natürlich) die Stadt. Am 3. November 1817 erging sein Befehl, dass jeder infizierte Soldat Ort und Person der Ansteckung offenbaren musste: “Kann oder will er dies nicht angeben, so soll er zwar couriert, aber nach der Genesung strenge bestraft werden.”

Am 29. November 1817 befragte die Stadtverwaltung die namentlich bekannten Prostituierten, ob sie weiter arbeiten wollten. Für die Prostituierten wurden wöchentliche Gesundheitsinspektionen festgesetzt; im Falle der Ansteckung mussten sie ihre Behandlung selbst bezahlen. Verheiratete mussten die Erlaubnis ihres Ehemannes vorlegen, um legal weiterarbeiten zu können.

Bittere Not der Frauen

Als Motiv, sich zu prostituieren, machte Heinz-Peter Mielke in seinem Aufsatz die bittere Not der Frauen aus. Daneben hätten Zeitgenossen auf fehlende Ausbildung, zerrüttete Familienverhältnisse und die Verwahrlosung der nichtehelich Geborenen unter den Frauen hingewiesen.

Als erste Hurenwirtschaft wurde das Heidemannsche Haus Nr. 575 (später Königswall 87) zugewiesen. Die offizielle Regelung blieb bis 1823 aus, als das Königliche Ministerium des Innern der Regierung in Minden die Einrichtung eines Bordells genehmigte. Das Verfahren hatte sich hingezogen, weil es einerseits Kritik in der Bevölkerung gab. Der Landrat verwies andererseits darauf, dass die Stadt mit unter 10 000 Einwohnern für einen Bordellbetrieb zu klein sei. Am 27. Dezember 1823 genehmigte das Innenministerium das Bordell – mit Blick auf die Notwendigkeit, die Prostitution in einer Garnisonsstadt zu regeln.

Verbunden war diese Genehmigung mit ministerieller Kritik an der Wortwahl der Mindener Behörde: “Ich kann übrigens den von der königlichen Regierung verwendeten Begriff Freudenhaus nicht billigen, weil an sich schlechte Dinge durch veränderte Namen nicht veredelt werden können und dürfen, auch die gedachte Nennung nicht passend ist, da Bordelle nur zu oft die Quelle langer Leiden und Reue werden.”

Das Bordell sei mit Blick auf die große Anzahl lediger Männer in Uniform eingerichtet und geduldet worden, so Mielke, “wenngleich eine gelegentliche Benutzung durch Einwohner nicht auszuschließen war”. Mit dem Lokal am Königswall verschwand die Prostitution nicht aus dem übrigen Stadtbild.

Nicht nur die Wallanlagen am Simeonstor tauchten in Anzeigen als Ort auf, sondern sogar die Wache am Wesertor. 1839/40 wurde deshalb die Schließung des Bordells erwogen, denn die Straßenprostitution sei nur kurz zurückgegangen, stellte der Bürgermeister fest.

Die Kommandeure der verschiedenen Truppenteile in der Festung sprachen sich teils für die Auflösung, teils für den Weiterbetrieb aus. Die Militärärzte konnten eine geringere Zahl von Geschlechtskranken seit Errichtung des Bordells geltend machen: 46 Fälle in vier Jahren. Der Regimentsarzt des Infanterieregiments 15 schrieb dies einerseits der Sittlichkeit mancher Soldaten zu, verwies aber auch auf die Preise: Als die Einheit in Wesel stationiert war, wo es drei “gemeine und wohlfeile” Bordelle gab, steckten sich in drei Monaten 22 Mann bei Prostituierten an.

Nach dem Tod der Bordellwirtin wurde das Lokal am Königswall 1846 aufgelöst. Zeitweilig bestanden “Etablissements” in der heutigen Soodstraße und am Deichhof, bevor sich Prostituierte am Rampenloch niederließen und das Gesicht dieser Straße veränderten, wie die Untersuchungen der Bauforscher für das Mindener Gebäudeinventar ergaben.

Fünfter Teil der Preußen-Serie: Kein Erfolg mit Bittgesuch beim König