Die Buttjersprache

Klaus Siewert, promovierter und habilitierter Sprachwissenschaftler an der Universität Münster (2.v.l.), hat das Logo "Immaterielles Kulturerbe", das 20 Seiten umfassende Antragswerk und den Bewilligungs-Bescheid des NRW-Landesministeriums für Kultur und Wissenschaft an Bürgermeister Michael Jäcke (r.) übergeben. Mit dabei der "Mindener Buttjer", eine Skulptur in der Oberen Altstadt, und Dieter Böhning (l.), der bei Veranstaltungen den Buttjer verkörpert. Foto: Stadt Minden
Klaus Siewert, promovierter und habilitierter Sprachwissenschaftler an der Universität Münster (2.v.l.), hat das Logo “Immaterielles Kulturerbe”, das 20 Seiten umfassende Antragswerk und den Bewilligungs-Bescheid des NRW-Landesministeriums für Kultur und Wissenschaft an Bürgermeister Michael Jäcke (r.) übergeben. Mit dabei der “Mindener Buttjer”, eine Skulptur in der Oberen Altstadt, und Dieter Böhning (l.), der bei Veranstaltungen den Buttjer verkörpert. Foto: Stadt Minden

Sie ist immer noch gegenwärtig in Minden. Fast alle in der Stadt Minden kennen sie und vor allem ältere Bürgerinnen und Bürger aus der Altstadt sprechen sie noch hier und da. Die Rede ist von der “Buttjersprache”. 2024 wurde sie als “Immaterielles Kulturerbe” der UNESCO anerkannt – zusammen mit den anderen sogenannten Rotwelsch-Dialekten im deutschen Sprachgebiet.

“Es handelt sich hier nicht um eine Sprache im eigentlichen Sinne, sondern um ein geheimsprachliches Instrument zur internen Kommunikation von Angehörigen meist ärmerer Schichten”, so der in der Mindener Altstadt geborene Klaus Siewert, promovierter und habilitierter Sprachwissenschaftler an der Universität Münster, der auch Vorsitzender und Gründer der Internationalen Gesellschaft für Sondersprachenforschung (IGS) mit Sitz in Münster ist. Siewert hatte sich intensiv für die Anerkennung der Dialekte als Immaterielles Kulturerbe eingesetzt.

Geheimsprachliche Kommunikation

Die geheimsprachliche Kommunikation der Buttjersprache wurde durch einen “schichtenspezifischen Sonderwortschatz” ermöglicht und entwickelte sich vermutlich um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Oberen Mindener Altstadt. Dort wohnten überwiegend ärmere Menschen, unter ihnen Sinti und Roma, in beengten Verhältnissen. Auch Bewohner der Mindener Fischerstadt mit ihren Hafenarbeitern, Schiffern und Fischern nutzten den geheimen Wortschatz.

“Anders als natürliche Sprachen, die im besten Fall eine gelungene Verständigung von Menschen gewährleisten, verfolgten Sprecher von Rotwelsch-Dialekten in früheren Zeiten – geradezu umgekehrt – den Zweck der kommunikativen Ausgrenzung. Zuhörer sollten also vom Verstehen des Gesagten ausgeschlossen werden”, erläutert Klaus Siewert. Ihre exklusive Sondersprache half den Bewohnern dabei, interne Verabredungen zu treffen und Vorhaben zu planen, die in Hörweite stehende externe Zuhörer, darunter “Obrigkeiten” und militärische Besatzer, nicht verstehen sollten.

Ein Tarnwortschatz ohne eigene Grammatik

Wie alle mündlich überlieferten Sondersprachen hat die Buttjersprache keine eigene Grammatik, und auch die Schreibweise der Wörter variiert. Entscheidend ist der Tarnwortschatz, der im Fall der Buttjersprache überwiegend aus dem Romani der Sinti und dem Westjiddischen bezogen ist. In einem von Siewert in den 1990er-Jahren begründeten wissenschaftlichen Mammutunternehmen, das 2023 abgeschlossen worden ist, sind nun die Tarnwörter sämtlicher rund 50 Rotwelsch-Dialekte im “Wörterbuch deutscher Geheimsprachen” auf 909 Seiten dokumentiert worden: die buttjersprachlichen Wörter sind in dem Werk durch die Sigle “MB” kenntlich gemacht. Die in den letzten Jahrzehnten entstandenen Tondokumente aus Sprecherbefragungen sollen ins Sprachenarchiv des Weltdokumentenerbes der UNESCO wandern, darunter auch die Tonbänder und Kassetten, die Siewert bei Befragungen von Sprechern der Buttjersprache 2001/2002 in Minden gemacht hat – Grundlage für sein Buch “Die Mindener Buttjersprache”, das 2002 erschien.

Der Buttjersprache verwandte Rotwelsch-Dialekte in Westfalen sind zum Beispiel die Münstersche “Masematte” oder auch das “Humpisch” der Tiötten im Tecklenburger Land. Die Verwandtschaft zeigt sich dabei besonders in gemeinsamen Schnittmengen in den jeweiligen Tarnwortschätzen.

Buttjersprache – eine lokale Traditionspflege

In Minden wird die Buttjersprache im Rahmen lokaler Traditionspflege von einigen Trägergruppen immer noch praktiziert. Einige der Wörter sind in den Wortschatz der örtlichen Umgangssprache eingegangen, wie etwa nerbelo (leicht verrückt), beschucken (beim Bezahlen schummeln), Malocher (Arbeiter) oder Mischpoke (Familiensippe/Gesellschaft).

Klaus Siewert hatte im Herbst 2023 sein Antragswerk zur Anerkennung der historischen Geheimsprachen in Deutschland vom Typus Buttjersprache eingereicht. Vorher hatte er einige Überzeugungsarbeit unter anderem bei den Verantwortlichen im Landesministerium zu leisten. Denn Sprachen und Dialekte an sich sind laut einer UNESCO-Konvention vom “Immateriellen Kulturerbe” ausgeschlossen. Der Antrag von Klaus Siewert wurde auch durch ein entsprechendes Schreiben der Stadt Minden unterstützt, die auch Fotos und Sprachdokumente sowie Videos beisteuerte.

Wissenschaftlich dokumentiert

Für eine Anerkennung als “Immaterielles Kulturerbe” gibt es zudem eine besondere Voraussetzung: begleitende wissenschaftliche Dokumentationen und Forschungen. Das von Siewert und seinem Forschungsteam 2023 vorgelegte Werk “Wörterbuch deutscher Geheimsprachen: Rotwelsch-Dialekte” mit etwa 30.000 Artikeln war für die Anerkennung grundlegend.
Das fachwissenschaftliche Antragswerk unter dem Titel “Rotwelsch-Dialekte als Träger kultureller Ausdrucksformen” schuf Siewert für sein Begehren in nur drei Monaten. Die neun Rotwelsch-Dialekte in Nordrhein-Westfalen sind bereits als “Träger kultureller Ausdrucksformen in der Gegenwart” in das Landesinventar Immaterielles Kulturerbe in NRW eingetragen worden; alle anderen Rotwelsch-Dialekte außerhalb von NRW sind mit dem Bescheid des Ministeriums ebenfalls schon jetzt “Immaterielles Kulturerbe”; für den Eintrag in das Bundesweite Verzeichnis ist jetzt noch die Bestätigung der Deutschen UNESCO-Kommission abzuwarten.

Für Klaus Siewert war das Ganze schließlich ein Heimspiel der besonderen Art: Als er von Lerbeck zum Besselgymnasium nach Minden wechselte, ermahnte ihn seine Oma Tina, bloß nicht in die Fischerstadt zu gehen. Wie bei jedem Heranwachsenden weckte das erst recht die Neugier. Bei Käpt’n Eta, in den 1960er- und 1970er-Jahren eine Gastronomin in der Fischerstadt, die bevorzugt eine Kapitänsuniform trug, ist er zum ersten Mal auf Begriffe aus der Buttjersprache gestoßen, die nun für alle Zeiten “Immaterielles Kulturerbe” sind.

Mehr Informationen und Literatur zum Thema:
Internationale Gesellschaft für Sondersprachenforschung
Klaus Siewert – Leben und Werk