
Das Mindener Glacis ist weit mehr als ein zusammenhängender Grünzug rund um die Innenstadt. Es ist ein historisch gewachsener Stadtraum, ein Gartendenkmal von landesweiter Bedeutung und zugleich die ökologische Lebensader der Stadt Minden. Als bewaldete, parkartig gestaltete Anlage umschließt das Glacis den Stadtkern nahezu vollständig und bildet einen grünen Ring, der Geschichte, Natur und städtisches Leben auf besondere Weise miteinander verbindet. Im Jahr 2025 wurde mit der Neugestaltung des Grüngürtels begonnen.
Von der Festung zur Kulturlandschaft
Der Begriff „Glacis“ stammt ursprünglich aus dem Festungsbau. Gemeint war eine vorgelagerte, aufgeschüttete Erdfläche vor den Stadtwällen, die ein freies Schussfeld ermöglichte. In Minden entstand diese Anlage im Zuge des frühneuzeitlichen Festungsausbaus. Anders als in vielen anderen Städten kam es jedoch nie zu einer militärischen Bewährungsprobe – kein einziger Schuss wurde aus der Mindener Festung abgegeben. Genau dieser Umstand wurde zum Glücksfall: Die bepflanzten Flächen konnten sich über Jahrzehnte hinweg zu einem dichten, wertvollen Baumbestand entwickeln.
Mit der Aufhebung der Festung im Jahr 1873 begann ein grundlegender Wandel. Stadtverwaltung und Bürgerschaft setzten sich dafür ein, den bestehenden Glaciswald nicht zu zerstören, sondern ihn in eine öffentliche Grünanlage umzuwandeln. Damit wurde früh ein bemerkenswert weitsichtiger Umgang mit Stadtgrün praktiziert, der Minden bis heute prägt.
Gartendenkmal mit gestalterischem Konzept
Die Umformung des Glacis zur Parkanlage folgte klaren landschaftsgärtnerischen Leitbildern des späten 19. Jahrhunderts. Maßgeblich beteiligt waren der hannoversche Stadtgärtner Julius Trip und der Hofgärtner Georg Tatter aus Herrenhausen. Ihr Konzept sah keinen formalen Park vor, sondern einen sogenannten Waldpark: Alte, markante Einzelbäume sollten freigestellt, Blickachsen geöffnet, Lichtungen geschaffen und geschwungene Wege angelegt werden. Ziel war ein naturnahes, zugleich aber bewusst gestaltetes Landschaftsbild mit weiten Ausblicken – etwa auf die Porta Westfalica oder auf markante Bauwerke der Stadt.
Diese Grundidee prägt das Glacis bis heute. Trotz zahlreicher Eingriffe und Umgestaltungen nach dem Zweiten Weltkrieg ist der historische Charakter des Waldparks noch immer deutlich erkennbar.

Ein ökologisches Rückgrat der Stadt
Heute erstreckt sich das Glacis über rund vier Kilometer Länge, ist zwischen 25 und 175 Meter breit und umfasst etwa 26 Hektar Fläche. Rund 3.600 Bäume prägen das Bild – darunter Rotbuchen, Stieleichen, Linden, Eschen, Rosskastanien und Bergahorne. Im Frühjahr verwandelt sich der Waldboden vielerorts in ein Blütenmeer aus Buschwindröschen, Scharbockskraut und Veilchen. Im Rahmen der Neugestaltung des Glacis wurde auch mit der Pflanzung von Bäumen begonnen, die dem Klimawandel gewappnet sind.
Darüber hinaus ist das Glacis ein wichtiger Lebensraum für zahlreiche Tierarten. Mindestens 27 Brutvogelarten, Eichhörnchen sowie mehrere gefährdete Fledermausarten finden hier Rückzugsräume mitten in der Stadt. Damit erfüllt das Glacis eine zentrale Funktion für den urbanen Naturhaushalt und das Stadtklima – es ist im wahrsten Sinne die „grüne Lunge“ Mindens.
Denkmal, Erholungsraum und Alltagsort
Das Glacis ist zugleich ein Denkmal im rechtlichen Sinne. Seit 2017 steht es als Gesamtanlage in der Denkmalliste der Stadt Minden, Teile sind bereits seit 1993 als geschützte Landschaftsbestandteile ausgewiesen. Diese doppelte Schutzstellung unterstreicht seinen hohen kulturhistorischen und ökologischen Wert.
Gleichzeitig ist das Glacis ein intensiv genutzter Alltagsraum: Spaziergänge, Jogging, Radfahren, Naturbeobachtung oder stille Momente der Erholung gehören hier selbstverständlich zusammen. Historische Brücken, die renaturierte Bastau, Denkmäler und Skulpturen strukturieren den Raum und schaffen immer neue Perspektiven auf Stadt und Landschaft.
Herausforderungen und Zukunft
Der außergewöhnlich alte Baumbestand bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Viele Buchen haben ihre natürliche Altersgrenze erreicht, Verkehrssicherung, Pflege und Nachpflanzungen werden in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig haben sich durch fehlende Pflegephasen dichte Jungwuchsbereiche entwickelt, die den ursprünglich lichten Charakter des Waldparks teilweise überlagern.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, wurde ein umfassendes Pflege- und Entwicklungskonzept erarbeitet. Es verfolgt das Ziel, Natur- und Denkmalschutz mit den berechtigten Nutzungsansprüchen der Stadtgesellschaft in Einklang zu bringen. Dabei geht es nicht um starre Bewahrung, sondern um eine behutsame Weiterentwicklung – im Bewusstsein, dass das Glacis ein lebendiger, sich wandelnder Stadtraum ist.
Verantwortung für kommende Generationen
Das Mindener Glacis ist identitätsstiftend. Es erzählt von der Zeit der Festung, vom bürgerlichen Engagement des 19. Jahrhunderts und vom heutigen Anspruch an nachhaltige Stadtentwicklung. Seine Erhaltung ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine dauerhafte Aufgabe, die Aufmerksamkeit, Fachwissen und gesellschaftliche Verantwortung erfordert.
Gerade darin liegt seine Stärke: Das Glacis ist nicht nur Vergangenheit, sondern Gegenwart und Zukunft zugleich – ein einzigartiger grüner Ring, der Minden prägt und den es mit Überzeugung zu bewahren gilt.
Text: © Hans-Jürgen Amtage

Die Marienquelle und der Gesundbrunnen im Fischerglacis
Schon im 15. Jahrhundert berichteten Mindener Chronisten von einer Vielzahl natürlicher Quellen im Stadtgebiet. Diese prägten über Jahrhunderte hinweg nicht nur die Wasserversorgung, sondern auch das Alltagsleben der Bevölkerung. Mit dem Ausbau von Straßen, Kanalisationsanlagen und späterer Bebauung sind viele dieser Quellen jedoch versiegt oder vollständig verschwunden. Eine der wenigen bis heute erhaltenen Quellen ist die Marienquelle.
Die Marienquelle spielte zur Zeit der Mindener Festungsanlagen eine wichtige Rolle: Sie speiste den östlichen Graben des Ravelins Marientor. Von diesem Festungsgraben ist heute nur noch der Quellteich östlich der heutigen Kaiservilla erhalten. Der Teich lag einst auf dem Privatgrundstück des Commerzienrates Leonardi, der sein Gelände einzäunte. Damit war die Quelle der Öffentlichkeit zunächst entzogen – ein Zustand, der in der Mindener Bevölkerung auf deutlichen Protest stieß.
Als Reaktion ließ Leonardi eine Rohrleitung durch den Glaciswall bis in die Mitte des Fischerglacis verlegen. Dort entstand der sogenannte Gesundbrunnen, der fortan das Wasser der Marienquelle führte. An diesem Brunnen befand sich ein Stein mit der Inschrift „Wasser schafft Lebenskraft“ – ein sprechendes Zeugnis für den damaligen Glauben an die gesundheitsfördernde Wirkung des Quellwassers. Der Gesundbrunnen wurde zu einem festen Bestandteil des täglichen Lebens: Eine Gruppe älterer Herren, die sogenannten „Glacishasen“, holte sich hier bei ihren morgendlichen Spaziergängen ihren Labtrunk.
Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Situation grundlegend. Der Zulauf der Marienquelle wurde in die Kanalisation geleitet, der Brunnenstein entfernt. Als Begründung wurde die angeblich vollständige Verrottung des Zulaufrohres genannt. Damit verschwand der Gesundbrunnen aus dem öffentlichen Bewusstsein – zumindest scheinbar.
Bis heute sind im Fischerglacis noch Überreste dieses historischen Ortes erkennbar. Aus einem kleinen gemauerten Brunnenring tritt ein schwaches Rinnsal aus, das nach wenigen Metern im Boden versickert. Vom ursprünglichen Gesundbrunnen ist nichts mehr erhalten, und vom Genuss des Wassers wird heute dringend abgeraten. Dennoch lässt sich die aktive Quelle selbst klar lokalisieren: Der nördliche Teil des Quellteiches östlich der Kaiservilla friert selbst im Winter nicht zu und weist einen konstanten Wasserstand auf – ein deutliches Zeichen für den fortwährenden Zufluss der Marienquelle.
2025 wurde der ehemalige Gesundbrunnen im Fischerglacis von den Städtischen Betrieben Minden (SBM) gereinigt und freigelegt. Eine gestalterische Einfassung aus Baumstämmen, Sandsteinblöcken und eine Sitzbank heben den Ort heute wieder sichtbar hervor.
Auch der Quellteich östlich der Kaiservilla wurde bei der Neugestaltung des Fischerglacis‘ optisch stärker hervorgehoben. Durch den Rückschnitt von Wildwuchs soll verhindert werden, dass Laub- und Astwerk den Teich weiter verschlammen. Ziel war es, die Marienquelle und ihren Quellteich wieder als lebendiges Element der Mindener Stadtgeschichte erlebbar zu machen – als ruhigen, geschichtsträchtigen Hingucker für Spaziergänger und Anwohner im Glacis von Minden.
Text: © Hans-Jürgen Amtage